Quantenmechanik: hyperkomplex oder doch „nur“ komplex? (in German)

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Bis heute fragen sich Physikerinnen und Physiker: Braucht die Quantenmechanik hyperkomplexe Zahlen? Die FAU-Forschenden Ece Ipek Saruhan, Prof. Dr. Joachim von Zanthier und Dr. Marc-Oliver Pleinert sind der Frage nachgegangen.

Vor genau 100 Jahren formulierten Werner Heisenberg, Max Born und Pascual Jordan die Quantenmechanik – und revolutionierten damit unser Verständnis der Physik. Nur wenige Monate später präsentierte Erwin Schrödinger eine alternative, aber mathematisch gleichwertige Formulierung: die Wellenmechanik, die auf der Schrödinger-Gleichung basiert. Obwohl diese Ansätze anfangs als konkurrierend erschienen, erwiesen sie sich als physikalisch identisch – sie beschreiben die gleiche Realität, nur mittels unterschiedlicher mathematischer Herangehensweise.

Um die Quantenmechanik mathematisch zu erfassen, nutzten sowohl Heisenberg wie Schrödinger das System der komplexen Zahlen. Anders als die reellen Zahlen, also jene, die wir im Alltag nutzen, um Entfernungen oder Temperaturen zu beschreiben, bestehen diese aus einem reellen Teil – vorstellbar als Zahl auf einer X-Achse – und einem imaginären Teil – angeordnet auf einer Y-Achse. So lassen sie sich als Punkte in einer zweidimensionalen Ebene darstellen. Während Schrödinger später spekulierte, dass die Quantenmechanik möglicherweise auch rein mit reellen Zahlen formuliert werden könnte, wurde dies mittlerweile in einer Reihe von Experimenten widerlegt.

Eine zusätzliche Dimension?

Eine andere, bis heute offene Frage geht jedoch in die entgegengesetzte Richtung: Könnte es notwendig sein, in der Quantenmechanik über komplexe Zahlen hinauszugehen und sie durch hyperkomplexe Zahlen darzustellen, etwa unter Verwendung sogenannter Quaternionen? Hyperkomplexe Zahlen erweitern das Konzept der komplexen Zahlen indem sie dem imaginären Anteil zusätzliche Dimensionen hinzufügen. Statt Punkte auf einer zweidimensionalen Ebene entsprechen sie also Punkten in mehrdimensionalen Räumen. Bis heute gibt es keinen eindeutigen Beweis, dass eine solche Beschreibung notwendig wäre – sie ist aber auch nicht ausgeschlossen. Für unser Verständnis der Natur wäre eine solche Erweiterung  allerdings revolutionär.

Schon die Gründungsväter der Quantenmechanik widmeten sich dieser Frage und erforschten hyperkomplexe Formulierungen der Quantenphysik. Um Klarheit zu gewinnen, suchten Physiker später auch nach experimentellen Überprüfungen dieser Hypothese. Einer der ersten, die sich dieser Frage zuwandten, war Asher Peres. In den 1970er Jahren schlug er einen Test vor, mit dem experimentell überprüft werden sollte, ob die Quantenmechanik tatsächlich vollständig durch komplexe Zahlen beschrieben werden kann oder ob hyperkomplexe Zahlen erforderlich sind. Sein Grundgedanke: Falls die Quantenmechanik hyperkomplex wäre, sollten sich bestimmte Resultate in einem von ihm vorgeschlagenen Experiment anders verhalten als wenn die Standard-Quantenmechanik gültig wäre. Konkret schlug er vor, Lichtwellen durch verschiedene Interferometer mit einem, zwei oder drei Spalten zu schicken und die daraus resultierenden Interferenzmuster zu vergleichen. In der Standard-Quantenmechanik löschen sich bestimmte Kombinationen der erhaltenen Interferenzmuster aus. Wenn dies nicht der Fall ist, könnte dies ein Hinweis auf eine hyperkomplexe Quantenmechanik sein.

Seitdem haben mehrere Forscherinnen und Forscher den Peres-Test experimentell durchgeführt. Frühe Experimente haben zunächst vereinfachte Versionen des Tests mit Neutronen realisiert. Erst kürzlich haben Forschende Messungen im optischen und Mikrowellenbereich nach dem ursprünglichen Konzept von Peres vorgenommen. Aufgrund der begrenzten Messgenauigkeit konnte jedoch bislang experimentell kein eindeutiger Beweis für oder gegen eine hyperkomplexe Quantenmechanik gefunden werden.

Ece Ipek Saruhan, Joachim von Zanthier und Marc-Oliver Pleinert vom Department Physik der FAU haben sich jüngst in einer theoretischen Arbeit intensiv mit dem Peres-Test auseinandergesetzt und ihn weiterentwickelt.

Frau Saruhan, Herr von Zanthier, Herr Pleinert, Sie haben den Peres-Test weiterentwickelt. Was genau haben Sie verändert?

Ece Ipek Saruhan: Wir haben den Test auf eine mathematische Grundlage gestellt und ihn damit allgemeiner anwendbar gemacht. Mit unserem Ansatz können wir zudem die Ergebnisse des Tests als Volumina in einem dreidimensionalen Raum interpretieren. Genügt eine Beschreibung mit komplexen Zahlen, befinden sich alle Messungen auf einer Ebene in diesem Raum und der Test ergibt ein Volumen von Null. Wäre das Volumen hingegen von null verschieden…

… dann wäre eine hyperkomplexe Beschreibung notwendig?

Marc-Oliver Pleinert: Genau. Dann wären physikalische Größen nur mit hyperkomplexen Zahlen vollständig darstellbar. Unser erweitertes Testverfahren macht es außerdem möglich, den Test auf beliebig viele Dimensionen auszuweiten: Man kann es sich so vorstellen, dass jeder zusätzliche Spalt im Experiment eine weitere Dimension hinzufügt, sodass sich damit alle hyperkomplexe Zahlensysteme systematisch untersuchen lassen.

Warum ist es wichtig?

Joachim von Zanthier: Die Schrödinger-Gleichung ist der etablierte Standard in der Quantenmechanik, aber ihre Gültigkeit wurde nie formal bewiesen – sie hat einfach funktioniert. Will heißen: Bisher haben komplexe Zahlen scheinbar immer genügt, um die beobachteten Phänomene zu beschreiben. Unser Test erweitert die experimentelle Überprüfung, ob komplexe Zahlen zur Beschreibung der Quantenmechanik tatsächlich ausreichen, auf höhere Dimensionen und kann helfen, diese fundamentale Frage der Physik zu klären.

Sie haben den Peres-Test noch weiter verbessert?

Ece Ipek Saruhan: Ja, wir haben das Verfahren so erweitert, dass nicht nur ein einzelnes Lichtteilchen, sondern mehrere Lichtteilchen gleichzeitig durch ein Interferometer mit beliebig vielen Spalten geschickt werden. Dadurch können wir die Aussagekraft des Tests weiter erhöhen.

Und? Hat der erweiterte Test neue Ergebnisse geliefert?

Marc-Oliver Pleinert: Bislang zeigen alle Messungen, dass das Ergebnis stets ’null‘ ist – das heißt, im Rahmen der erzielten Messgenauigkeit reichen komplexe Zahlen aus. Allerdings erfordern die Tests extrem präzise Messungen. Unser Ziel ist vor allem, Physikerinnen und Physiker weltweit dazu zu ermutigen, unsere Erweiterung zu nutzen, um noch genauere Tests durchzuführen. Vielleicht lässt sich so eines Tages die Frage, ob für die Quantenmechanik komplexe Zahlen ausreichen oder ob hyperkomplexe Zahlen erforderlich sind, endgültig beantworten. Das wäre ein bedeutender Fortschritt für die Quantenforschung.

Original-Publikation:
Multipath and Multiparticle Tests of Complex versus Hypercomplex Quantum Theory;
Ece Ipek Saruhan, Joachim von Zanthier, Marc-Oliver Pleinert: “Physical Review Letters”, 2025;
DOI: https://doi.org/10.1103/PhysRevLett.134.060201

 

(Original FAU press release at https://www.fau.de/2025/03/news/quantenmechanik-hyperkomplex-oder-doch-nur-komplex/)